Liberalitas
Spenden des Kaisers an die römische Bevölkerung
Eine der wichtigsten Aufgaben des römischen Staates war es, dafür Sorge zu tragen, daß 223 die Bevölkerung der Stadt Rom jederzeit mit den Grundnahrungsmitteln insbesondere mit Getreide ausreichend und preiswert beliefert wurde. Bereits in republikanischer Zeit wurden für die Annona besondere Beamte eingesetzt. Die Stadt konnte sich nicht selber versorgen. Getreide mußte in der weiteren Umgebung Roms, später sogar in den Provinzen eingekauft werden. Erst Sizilien, dann Nordafrika und besonders Ägypten waren die Hauptlieferanten. Per Schiff kam das Getreide im Hafen Ostia an und wurde in großen Lagerhäusern zwischengelagert.
Seit den Sozialgesetzen der Gracchen um 120 v. Chr. hatten römische Bürger Anspruch auf eine monatliche Getreideration, die anfänglich zu einem subventionierten Preis abgegeben, später sogar kostenlos verteilt wurde. In der Kaiserzeit übernahm der Herrscher diese Pflicht und zahlte die anfallenden Kosten aus dem fiscus, der amtlichen Privatkasse. Ca. 200.000 Personen, die in Rom ansässig waren und ihre Bedürftigkeit nachgewiesen hatten, konnten Anspruch auf die Getreidespenden geltend machen. Sie bekamen als monatliche Ration 5 modii Getreide.
Der Modius, im Deutschen häufig mit Scheffel übersetzt, war ein Getreidemaß, das ca. 8,7 l faßte. Er war wie ein Zylinder geformt, der sich nach oben leicht verjüngte. Die bildende Kunst zeigt ihn mit Getreideähren und Mohnkapseln, die seine Funktion verdeutlichen. Neben den modii ließ der Kaiser von Zeit zu Zeit congiarii verteilen. Dies war ursprünglich eine Naturalspende in Wein oder ™l (congius war ein Hohlmaß von ca. 3 l). Sseit Augustus wurde damit eine außerordentliche Geldspende bezeichnet.
Alle diese Spenden genügten natürlich nicht, den römischen Bürgern ausreichende Nahrung zu garantieren. Sie waren ein willkommenes Zubrot. Augustus gab während seiner Regierungszeit zusätzliche Spenden von 570 Denaren pro Empfangsberechtigten aus. So groß die Summe auch erscheinen mag, auf die gesamte Regierungszeit verteilt stellte sie für den Einzelnen einen Gegenwert von ca. 2 Wochenlöhnen pro Jahr dar.
Andererseits ließ es sich der Herrscher nicht nehmen, diese Spenden propagandistisch auszuwerten. Sesterze der Kaiser seit Nerva zeigen Szenen, bei denen der Kaiser die Verteilung des Congiariums persönlich überwacht. Als Liberalitas bezeichnete man diese Freigiebigkeit des Herrschers, die auch durch eine Gottheit personifiziert wurde. Sie hält in einem Arm ein Füllhorn als Zeichen des Überflusses, in der anderen Hand eine Art Tafel, die als tessera (Tafel) oder abacus (Rechenbrett) bezeichnet wird. Möglicherweise war es aber auch eine kleine Schaufel mit besonderen Vertiefungen, die es ermöglichten, auf einfache Weise eine bestimmte Menge Geldes zu zählen.
Im zweiten Jahrhundert löste die Darstellung der Liberalitas die Congiarium-Szenen in der Münzprägung ab. Eine Zahlenangabe in der Umschrift (z. B. LIBERALITAS AVG II) gibt manchmal an, wie oft der Kaiser eine freiwillige Spende vorgenommen hat. Die letzte Darstellung der Liberalitas auf einer römischen Münze erschien 326 auf einem Aureus Constantins des Großen.