Genesis des römischen Kaiserportraits
Als Kaiser Augustus sein Bild auf die Münzen setzen ließ, folgte er wie in vielen anderen Dingen dem Vorbild seines Adoptivvaters Caesar, der als erster Römer kurz vor seiner Ermordung (44 n.Chr.) vom Senat die Erlaubnis erhalten hatte, bereits als Lebender sein Portrait auf dem kursierenden Geld zu verewigen. Lange hatte man in Rom aus religiösen Bedenken (ähnlich wie die Griechen) sich gescheut, den alten Platz der Götter einzunehmen, denn das Geld war durch die Tradition und die Abbildungen der Götter heilig. Ein Bild besaß damals eben nicht nur eine starke Anziehungskraft wie heute, sondern hatte auch einen magischen) Einschlag, vergleichbar etwa einem Amulett wie der Christopherusplakette, die Autofahrer im Vertrauen auf Schutz trotz unseres aufgeklärten Zeitalters auf dem Armaturenbrett ihres Wagens anbringen.
Caesar wie Augustus und alle folgenden Herrscher wussten deshalb, wie wichtig es war, auf diesem alltäglichen, aber verbreitetsten Kommunikationsmittel, das auch sehr gut propagandistisch eingesetzt werden konnte, jedem Bürger jederzeit abgebildet gegenwärtig zu sein.
Die Werke der römischen Portraitkunst (Klein-, Großplastiken und Münzen) standen den nachfolgenden Generationen seit der Spätantike vorbildlich vor Augen. Seit der Renaissance stellten sich Wissenschaftler die Frage nach den Ursprüngen dieser eigenständigen römischen Kunst. Man zog auch Münzen zur Identifikation unbeschrifteter Büsten heran. Da der römische Realismus in den Portraitdarstellungen eine auffällige Abweichung vom griechischen Vorbild zeigte, musste man nach anderen Ursprüngen suchen, die man in der etruskisch-italischen Vorzeit zu erkennen meint.
In Deutschland hatte sich 1769 Lessing gründlich mit den überlieferten Quellen befasst. Seiner Ansicht nach liegen die Wurzeln dieser Kunst im römischen Ahnenkult, der in den vornehmen und einflussreichen Häusern mit der Aufstellung von Ahnenbildern getrieben wurde. Dabei sollten die Abbildungen der Toten die "bestmögliche" Ähnlichkeit erreichen. Die anfänglichen Totenmasken, die bemalt und mit Haaren wie Glasaugen versehen wurden und denen später ganze Marmorbüsten folgten, sollten in den Nachkommen und Besuchern den vollständigen Eindruck der Lebendigkeit und Gegenwart aller Vorfahren erwecken. Die lange Ahnenreihe demonstrierte die Pietas (= fromme Haltung) der Familie und ihre Auctoritas (= großes Ansehen). Es war eben eine anschauliche Familienchronik und hielt die Leistung für Rom wach und das eigene Ansehen hoch. Den gleichen Zwecken dienten auch die prunkvollen öffentlichen Begräbnisse mit deren Anfang der Ahnen und den entsprechenden Lobreden. Jeder Verstorbene wurde damit der Ahnenreihe eingegliedert.
Das römische Portrait wie auch die Kunst sind also in der Familie, im Glauben und im öffentlichem Wirken verwurzelt. Dabei zielt der Realismus auf die Familienähnlichkeit und nur am Rande auf ein einzelnes Individuum.